Projekte

Widrige Umwelten.
Eine literaturhistorische Wahrnehmungsgeschichte der ‚Kleinen Eiszeit‘.

Habilitationsprojekt

Der literaturwissenschaftliche Umwelt- und Klimadiskurs, der durch die Forschungsströmung des Ecocriticism und das Konzept des Anthropozäns in den vergangenen Jahren befördert wurde, ist vor allem ein gegenwartsbezogener. Während die Geschichtswissenschaften schon früh die Ergebnisse der Umwelthistoriker zum Einfluss von Klimaveränderungen auf historische Gesellschaften aufnahmen, verblieb die literaturwissenschaftliche Forschung hier oft in der Rekonstruktion einer Motivgeschichte. Mit der Kleinen Eiszeit, die zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert die Temperaturen in Europa immer wieder drastisch sinken ließ, besitzen wir ein historisches Vorbild für eine umfassende Veränderung klimatischer Bedingungen, die durch Missernten, Hungersnöte und Epidemien zu einer massiven Dezimierung der Bevölkerung beitrug und neben politischen und sozialen Situationen als Einflussfaktor für kriegerische Auseinandersetzungen und Revolutionen gewertet werden kann. Geoffrey Parker dokumentiert in seinem monumentalen Werk „Global Crisis“ (2013) wie stark die global auftretenden Konflikte im Laufe des 17. Jahrhundert durch klimatische Veränderungen bedingt wurden.

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die unterschiedlichen Auswirkungen der Kleinen Eiszeit auf die Literatur der frühen Neuzeit zu untersuchen. Da die historischen Grenzen der klimatischen Veränderung quer zu den fachlichen Epochengrenzen liegen, wird der Schwerpunkt der Arbeit auf die mittlere Phase der Kleinen Eiszeit (ab der zweiten Hälfte des 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert) gelegt und in die Früh- und Spätphase allenfalls im Rahmen kleiner Fallstudien ausgegriffen. Die Begrenzung auf eine Nationalliteratur ist bei einem globalen Phänomen wie dem Klima eine künstliche, weshalb an verschiedenen Stellen neben deutschsprachigen Werken auch Texte weiterer europäischer Literaturen in den Blick genommen werden sollen, wobei von dem frühneuzeitlichen Konzept einer res publica literaria ausgegangen wird. Jenseits des thematischen Schwerpunkts soll die Arbeit zudem einen Beitrag zur Diskussion um den Realismus in der frühneuzeitlichen Literatur leisten.

Inspiriertes Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert

Bewilligtes Walter Benjamin-Projekt, wegen der COVID19-Situation nicht angetreten.

Der Typus des inspirierten Autors, dem seine Sprache, seine Themen und seine Legitimation nicht aus Buchquellen, sondern direkt aus göttlicher Eingabe zufließen, kann als Gegenmodell zum Ideal gelehrter Dichtung und der Dominanz von Regelpoetiken, die die Literaturproduktion in der frühen Neuzeit prägen, verstanden werden.

Ziel des geplanten Projekts, das einen Beitrag zur intellectual history der Vormoderne leisten will, ist ein vierfaches: 1.) Die am Inspirationskonzept partizipierenden (Fach-)Diskurse herauszuarbeiten. 2.) Das prophetische und inspirierte Dichten als zentrales Autorschaftsmodell zwischen dem ausgehenden 16. und dem späten 18. Jahrhundert zu untersuchen und zu ermitteln, inwiefern Autorschaftskonzeptionen, wie sie in der Genieästhetik des späten 18. Jahrhunderts prägend werden, ihre Vorläufer im inspirierten Schreiben in Barock und Aufklärung besitzen. 3.) Die Funktionen von Inspiration und deren Wirkung und Inszenierung im Rahmen unterschiedlicher Gattungen herauszuarbeiten. 4.) Die sprachliche Umsetzung inspirierten Schreibens zu analysieren.

Edition der Tagebücher Ernst Jüngers aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs

Ziel des Projekts ist eine dreibändige Ausgabe von Ernst Jüngers Tagebüchern aus dem Zweiten Weltkrieg und der frühen Nachkriegszeit, die er zwischen 1942 und 1958 veröffentlichte und die heute unter dem 1949 eingeführten Titel „Strahlungen“ zusammengefasst werden. Die Edition berücksichtigt sowohl die publizierten Texte in sämtlichen Fassungen als auch das unpublizierte Material, das den veröffentlichten Tagebüchern zugrunde liegt. Hierdurch wird dieses zeitgeschichtlich außerordentlich facettenreiche und deswegen häufig aufgerufene Dokument eines der größten deutschen Diaristen der Weltkriegszeit erstmals in sämtlichen publizierten Fassungen sowie in den handschriftlichen Vorstufen präsentiert.

(gemeinsam mit Prof. Dr. Helmuth Kiesel)

Die Genese der „Strahlungen“ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern

Meine Dissertation „Die Genese der ‚Strahlungen‘ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern“ macht es sich zur Aufgabe, die bislang nur punktuell erforschten Originaltagebücher Ernst Jüngers, welche er in den Jahren 1939 bis 1948 führte, zu erschließen, den Publikationsprozess von der ersten Niederschrift bis zur letzten Werkausgabe nachzuzeichnen und die Differenz zwischen privaten Aufzeichnungen und veröffentlichtem Text herauszustellen. Basis der Untersuchung bilden Jüngers private Tagebücher des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, welche sich heute im Deutschen Literaturarchiv Marbach befinden. Im handschriftlichen Material zeigt sich ein komplexes Aufeinanderfolgen von erweiternden, aber vor allem auch kürzenden Überarbeitungsschritten.

Neben der Präsentation von zahlreichen bislang unveröffentlichten Passagen aus Jüngers Tagebüchern und Korrespondenzen wird durch die Arbeit an folgenden Stellen ein neuer Forschungsstand erreicht:

  • Das Tagebuch wird als Gattung präsentiert, die zwischen einem historisch-biographisch orientierten, faktualen Zugriff und einem literarisch-werkorientierten, ästhetischen Zugriff steht. Basierend auf der detaillierten Materialanalyse bietet die Arbeit eine Neubewertung nicht nur der Tagebücher Jüngers im Speziellen, sondern der in der Forschung als „literarisches Tagebuch“ firmierenden Textgattung im Allgemeinen. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Begriff die Wechselbeziehungen zwischen privatem Dokument und literarischem Werk nicht ausreichend scharf erfasst, weshalb am Ende der Arbeit für den neutraleren Begriff des „autorpublizierten Tagebuchs“ plädiert wird.
  • Die verlags- und buchgeschichtlichen Kapitel des zweiten Teils bieten eine Fallstudie zu den Publikationsbedingungen und -hemmnissen im „Dritten Reich“ und den Nachkriegsjahren. Der Gattung des Tagebuchs kommt im Zugriff durch die Zensur insofern eine besondere Bedeutung zu, als dass sie oft als faktual rezipiert wird und somit vorgeblich Aussagen über gegenwärtige Zustände trifft.
  • Durch die Textgenese als interpretatorisches Werkzeug konnten literatur- und editionswissenschaftliche Ansätze produktiv miteinander verbunden werden, wodurch auch eine im literaturwissenschaftlichen und didaktischen Kanon eher marginalisierte Textsorte wie das Tagebuch an Reiz gewinnt. Nicht zuletzt lässt sich anhand der Untersuchung der historische Quellenstatus autorveröffentlichter Tagebücher relativieren.

Disputation Januar 2018

Publikation: Joana van de Löcht: Aufzeichnungen aus dem Malstrom. Die Genese der "Strahlungen" aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern (1939—1958), Frankfurt a. M. 2018 (Das Abendland. Neue Folge 42). Erhältlich im Verlag Klostermann.